Sozialpolitik – Pläne der Bundesregierung
Neuer Aufbruch, neue Dynamik, neuer Zusammenhalt – das versprechen CDU, CSU und SPD auf dem Titelblatt des Koalitionsvertrages für die neue Bundesregierung. Wir haben genauer hingeschaut und die zehn für Arbeitgeber wichtigsten Vorhaben herausgesucht.
Vorhaben in der Sozialversicherung
„Ab 1. Januar 2019 werden die Beiträge zur Krankenversicherung wieder in gleichem Maße von Arbeitgebern und Beschäftigten geleistet.“ Bei der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich die SPD durchgesetzt. Von weitergehenden Vorstellungen einer Bürgerversicherung sind jedoch im Vertrag nur Spurenelemente übrig geblieben. Mit der paritätischen Beitragstragung kehrt die Große Koalition zu einer Finanzierungspraxis zurück, wie sie bis 2005 in der Krankenversicherung galt. Auch die Art und Weise, wie dies geschehen soll, ist bereits festgelegt: „Der bisherige Zusatzbeitrag wird paritätisch finanziert.“ Damit wird es grundsätzlich beim bisher bekannten Modell bleiben: Für alle Krankenkassen gilt ein einheitlicher gesetzlicher Beitragssatz (zurzeit 14,6 Prozent); ein darüber hinausgehender Finanzbedarf wird von jeder Krankenkasse durch einen individuellen Zusatzbeitragssatz abgedeckt. Neu ist, dass ab 2019 der Zusatzbeitrag ebenfalls zur Hälfte vom Arbeitgeber und vom Beschäftigten zu tragen ist und nicht wie aktuell ausschließlich vom Arbeitnehmer.
In welcher Weise dies konkret ausgestaltet wird, steht noch nicht fest. Denkbar ist sowohl die hälftige Tragung des kassenindividuellen Zusatzbeitrags wie auch eine Variante, bei der sich die hälftige Beitragstragung am durchschnittlichen Zusatzbeitrag (2018 = 1 Prozent) orientiert. Gegenwärtig erheben Krankenkassen individuelle Zusatzbeiträge in Höhe von 0 bis 1,7 Prozent, bei den großen bundesweit geöffneten Kassen liegt die Spanne bei 0,59 bis 1,7 Prozent. Für Arbeitgeber kann daher zukünftig die Höhe des kassenindividuellen Zusatzbeitrags ihrer Beschäftigten ab 2019 eine erhebliche Rolle spielen, denn je nach Krankenkasse könnte die Arbeitgeberbelastung dann um bis zu 0,85 Prozent höher liegen als heute.
Um 0,3 Prozent sinken soll hingegen der hälftig getragene Beitrag zur Arbeitslosenversicherung. Da die Kassen der Bundesagentur für Arbeit schon zum Jahresende 2017 überaus gut gefüllt waren, war dieser Schritt schon für 2018 viel diskutiert worden. Ob die Absenkung schon zum 1. Juli 2018 oder erst zum 1. Januar 2019 kommt, ist zurzeit noch unklar. Für Arbeitgeber ergibt sich hier eine Entlastung um 0,15 Prozent.
Die „doppelte Haltelinie“, wie sie von der früheren Arbeits- und Sozialministerin Nahles entwickelt wurde, findet sich im Koalitionsvertrag wieder: Bis zum Jahr 2025 soll der Beitragssatz zur Rentenversicherung 20 Prozent nicht überschreiten. Das Rentenniveau (Verhältnis der Standardrente zum Durchschnittsentgelt) soll 48 Prozent nicht unterschreiten. Wie dies abgesichert werden soll, wird im Koalitionsvertrag jedoch nicht beschrieben. Vielmehr wird diese Aufgabe an eine Rentenkommission delegiert, die im März 2020 einen entsprechenden Bericht vorlegen soll.
Für Selbstständige, die nicht durch schon bestehende verpflichtende Versorgungswerke über eine Altersversorgung verfügen, ist eine obligatorische Altersvorsorgepflicht geplant.
Für Zeitungszusteller wird es wohl schon bald wieder eine Sonderregelung geben (wie bis 2017 beim Mindestlohn): Offenbar rückwirkend zum 1. Januar 2018 soll der pauschale Rentenversicherungsbeitrag, den Arbeitgeber für Zeitungszusteller in Minijobs zahlen müssen, von 15 auf 5 Prozent abgesenkt werden. Diese Regelung soll bis zum 31. Dezember 2022 gelten.
Die Sozialversicherungsbeiträge von Beschäftigten, die regelmäßig zwischen 450,01 und 850 EUR monatlich verdienen, werden auf besondere Art und Weise berechnet (Gleitzone, § 20 Absatz 2 SGB IV). Die Große Koalition plant unter dem Stichwort „Ausweitung Midi-Jobs“ eine Anhebung des oberen Grenzwerts von 850 EUR. Dabei soll sichergestellt werden, dass die bislang bei Beschäftigungen in der Gleitzone gezahlten geringeren Rentenversicherungsbeiträge nicht zu geringeren Rentenleistungen im Alter führen. Die bislang vorgesehene Möglichkeit des Verzichts auf die Anwendung der Gleitzone wäre damit entbehrlich. Ob es im Zuge dieser Änderung auch zu veränderten Grenzwerten für Minijobs (bisher bis 450 EUR) kommt, ist noch nicht abzusehen.
Vorhaben rund um das Arbeitsrecht
Eine hervorgehobene Rolle in der öffentlichen Debatte um die Inhalte des Koalitionsvertrags spielte das Thema „sachgrundlose Befristungen“. Bislang sind kalendermäßige Befristungen eines Arbeitsvertrages ohne sachlichen Grund für eine Dauer von bis zu zwei Jahren möglich; eine Verlängerung der Befristung ist innerhalb dieser Gesamtdauer bis zu dreimal möglich. Für Existenzgründer gelten erweiterte Möglichkeiten.
Zum einen soll laut Koalitionsvertrag nun die Dauer einer sachgrundlosen Befristung auf höchstens 18 Monate begrenzt werden; eine Verlängerung soll innerhalb dieser anderthalb Jahre nur noch einmal möglich sein. Zum anderen soll auch die Häufigkeit von Befristungen verringert werden: Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten sollen nur noch für 2,5 Prozent der Arbeitsverhältnisse sachgrundlose Befristungen vereinbaren dürfen. Jeder weitere befristete Vertrag würde dann als unbefristet abgeschlossen gelten. Befristungen sollen dann generell ausgeschlossen sein, wenn vorher ein unbefristeter Arbeitsvertrag bestanden hat oder wenn beim selben Arbeitgeber bereits befristete Arbeitsverträge mit einer Gesamtdauer von fünf oder mehr Jahren bestanden.
„Im Teilzeit- und Befristungsrecht wird ein Recht auf befristete Teilzeit eingeführt“, heißt es im Koalitionsvertrag. Gelten soll dies in Betrieben, die mehr als 45 Arbeitnehmer haben. Allerdings soll die Belastung der Arbeitgeber dadurch begrenzt werden, dass lediglich eine befristete Teilzeit je 15 Mitarbeiter gewährt werden muss. Teilzeitanträge für weniger als ein Jahr oder für mehr als fünf Jahre sollen unzulässig sein. Zwischen zwei befristeten Teilzeiten desselben Arbeitnehmers muss jeweils ein Jahr Abstand liegen.
Für mobile Arbeit (Home Office) soll ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden (der allerdings nicht konkreter ausgeführt wird). Benannt werden jedoch ein „Auskunftsanspruch der Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber über die Entscheidungsgründe der Ablehnung“ bei einem Gesuch auf Arbeit im Home Office sowie „Rechtssicherheit für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber im Umgang mit privat genutzter Firmentechnik“. Das erinnert stark an das 2016 in den Niederlanden in Kraft getretene Gesetz über Flexibilität am Arbeitsplatz: Der dortige Arbeitgeber ist zwar nicht verpflichtet, einem Antrag auf Home Office-Arbeit zuzustimmen, er muss jedoch einen diesbezüglichen Antrag des Arbeitnehmers ernsthaft prüfen und sich dazu mit dem Arbeitnehmer beraten.
Die Koalitionspartner haben sich eine Überarbeitung des Berufsbildungsgesetzes in Gänze vorgenommen, mit der sowohl die Digitalisierung der Arbeitswelt als auch die der Lernmedien Einzug in die berufliche Bildung halten soll. Dazu soll auch eine Ausstattungsoffensive für berufliche Schulen gehören. In diesem Zusammenhang wollen die Koalitionäre auch „eine Mindestausbildungsvergütung im Berufsbildungsgesetz verankern“. Diese Mindestvergütung soll ab dem 1. Januar 2020 gelten. Über ihre Höhe sagt der Vertrag nichts aus.
Vorhaben in anderen Rechtsbereichen
Um den „Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte nach Deutschland ordnen und steuern“ zu können, will die Große Koalition ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz verabschieden. Es ist zu hoffen, dass in diesem Zusammenhang die teils wenig durchsichtigen Bestimmungen, die sich auf das Aufenthaltsgesetz, die Beschäftigungsverordnung, das SGB III und die Umsetzungsregelungen zu EU-Freizügigkeitsregelungen verteilen, handhabbarer zusammengefasst werden. Bemerkenswert ist, dass mit Benennung des Gesetzesvorhabens nun erstmals gesetzgeberisch von „Einwanderung“ statt von „Aufenthalt“ die Rede ist.
Freuen können sich Arbeitgeber auf Steuererleichterungen für betrieblich genutzte Elektrofahrzeuge und Dienstwagen. Firmenwagen mit Elektro- oder Hybridantrieb sollen demnächst nicht mehr mit einem Prozent des Listenpreises als Arbeitslohn gelten (Listenpreismethode), sondern nur noch mit 0,5 Prozent. Und auch der elektrisch angetriebene Fuhrpark könnte einen Anschub bekommen: Für gewerblich genutzte Elektrofahrzeuge soll eine auf fünf Jahre befristete Sonder-AfA (Absetzung für Abnutzung) von 50 Prozent im Jahr der Anschaffung eingeführt werden.